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Vom Hersteller zum Gesamt-Dienstleister

Es ist nicht einfach, als produzierendes Unternehmen in der Schweiz zu bestehen. Dem Feintuning zwischen Digitalisierung und Handarbeit kommt dabei besondere Bedeutung zu. Die Firma Vifian lebt den Spagat zwischen Serienproduktion und individuellem Innenausbau täglich.

Schwarzenburg liegt nicht gerade «auf dem Weg». Umso mehr erstaunt es, dass in diesem einigermassen abgelegenen Dorf mit den vielen Wetterkapriolen schweizweit tätige KMUs zu Hause sind. Gilgen Door Systems beispielsweise – oder die Vifian Möbelwerkstätte; «neu schlicht und einfach Vifian», bringt es der CEO Christian Petrini auf den Punkt. Er spricht damit den unlängst getätigten Namenswechsel des rund 60 Mitarbeiter*innen zählenden Unternehmens an. Der Wechsel der Corporate Identity war nur die letzte Etappe eines mehrjährigen Transformationsprozesses. Petrini, der im Jahr 2017 in die Firma eintrat und seit 2019 als CEO amtet, hat diesen angestossen. «Wir waren damals vor allem als produzierender Betrieb bekannt», sagt er. Heute sei das ganz anders. Und er zeigt gleich in einer Präsentation, was er damit meint.

Neue Strukturen

Die Folien zeigen auf, dass «realizing», also die Produktion, lediglich der sechste Schritt ist in einer Prozesskette vom ersten Kundengespräch bis zum fixfertigen Projekt oder Produkt. Davor stehen fünf weitere Schritte, welche im neuen Verständnis nicht minderwertig sind. Sie tragen die Bezeichnungen «analysis», «challenge», «targeting», «concept» und «detailing». Wem das zu abgehoben ist, dem sei gesagt, dass Christian Petrini eine Schreinerlehre absolviert hat und in Biel zum Holztechniker ausgebildet worden ist, bevor er sich in St. Gallen in Change- und Innovationsmanagement und BWL weiterbildete. Der CEO versteht demzufolge etwas von Lösungen in Holz und seinen verwandten Materialien.
Und so erklärt er, wie man begonnen hat, das Unternehmen vermehrt auf Losgrösse eins, also auf individuelle Kundenaufträge, auszurichten. Das war nicht etwa der Wunsch der neuen Geschäftsleitung, sondern aus der Not geboren: «Durch die vornehmend digitalisierte Arbeit in den Büros fiel der Stauraum weg», konstatiert Petrini. Also verkaufte die Vifian Möbelwerkstätte, die vorwiegend im Bereich von Stauraumlösungen zu Hause war, ihre Möbel nicht mehr besonders gut. Ein neuer Absatz musste her. Anscheinend vermag man gerade in der Schweiz, wo die Herstellkosten erwiesenermassen höher sind als in den umliegenden Ländern, derzeit vor allem mit massgeschneiderten Lösungen zu überzeugen.

Design im Zentrum

Dennoch entwickelte man mit dem Systemmöbel «Loop», dem flexiblen Büromöbel «Frame», dem Garderobenmöbel «Trio» oder dem Tisch «Più» auch neue Möbeltypen für die hauseigene Kollektion. Entstanden seien diese Arbeiten einerseits im Innovationsteam rund um Designer Kurt Müller, andererseits auch im Gespräch mit Kund*innen, so Petrini. Und apropos Innovationsteam: Dieses baute man sukzessive auf. Mittlerweile arbeiten Innenarchitekt*innen genauso für das Unternehmen wie Schreiner*innen, Avor-Spezialist*innen, Metallfachleute – und Lernende.
Alle Mitarbeitenden zusammen ergeben die DNA von Vifian. Eine DNA, die weder Schweizerkreuz noch einen 1869-Claim benötigt, der besagt, dass die Firma seit 1869 existiere. Diese fielen dem Restrukturierungsprozess zum Opfer. Für die Neugestaltung des Logos lud man drei Agenturen ein. Sämtliche Entwürfe verzichteten auf die beiden grafischen Elemente. Der neue Claim «raum verstehen» umschreibt zeitlos, was die Unternehmung kann.
Nicht zuletzt durch zwei- und dreidimensionales Design mauserte sich die Werkstätte sozusagen zur Manufaktur, auch wenn hier viel automatisiert wurde und immer noch wird. Gerade wurde eine neue Kantenleimmaschine implementiert. Im Betrieb stehen sowohl CNC-gesteuerte Fräsen als auch eine horizontale Plattenzuschneide. Die Standard-Möbel sind integriert in das digitale Konfigurationstool «Furnplan», welches es den Händler*innen erlaubt, die unzähligen Verkaufsmöglichkeiten in den Griff zu kriegen. Alleine beim Programm «Pure» sind es über eine Million.

Der soziale Aspekt

Wer nun denkt, dass Vifian ein unglaubliches Tempo vorlegt, und dass gewisse Mitarbeitende dem Druck, der daraus entstehen mag, nicht mehr gewachsen sein würden, der täuscht sich. Gemäss Christian Petrini ist es wichtig, Mitarbeitenden eine Chance zu geben, die aus schulischen oder anderen Gründen keine Weiterbildung geniessen durften und mit einer repetitiven Arbeit zufrieden sind. Trotz der Digitalisierung gibt es scheinbar auch bei der praktischen Arbeit Bereiche, wo der Mensch der Maschine überlegen ist. Obwohl ein paar Entwicklungsstellen zur Erfüllung der neuen Firmenkultur geschaffen worden sind, hat Vifian immer noch mehr Man-Power in der Werkstatt als im Büro. Die eigene Produktion und die daraus resultierende Flexibilität wird denn auch weiterhin eine Stärke des Unternehmens bleiben. «Ich wehre mich gegen eine Schweiz ohne herstellende Industrie», sagt Petrini, nicht zuletzt aus Nachhaltigkeitsgründen.
Der Gast stellt sich unweigerlich Fragen beim Verlassen des Inspirationsraums an der Freiburgstrasse in Schwarzenburg. Zum Beispiel, was wohl der nächste Schritt im Vifian’schen Transformationsprozess sein wird? «Bei «Neue Räume 2024» werden wir mit einer coolen Überraschung aufwarten», verspricht Christian Petrini. Man darf also gespannt sein, was die örtlich etwas abgelegene Werkstätte in Zukunft zu (dienst)leisten imstande ist.

Das multifunktionale Stellwandsystem «Frame» trägt den veränderten Bedürfnissen in Arbeitswelten Rechnung.
Das Möbelprogramm «Loop» rundet das Vifian’sche Sortiment formal ab.
Der Klassiker «Pure» bietet über eine Million Konfigurationsmöglichkeiten.